“Gewaltiges Problem”: Experten warnen vor Radikalisierung in Gefängnissen
- Gefängnisse gelten als Hort der Radikalisierung durch Islamisten
- Deutschland tut viel zur Prävention – dennoch warnen Experten, die Justiz sei nicht gut genug gerüstet
Ein Sozialarbeiter streckt einem jungen Gefangenen die Hand entgegen. Der ergreift sie nicht. Dann folgt ein kurzes, aber beunruhigendes Frage-Antwort-Spiel:
“Warum?”, fragt der Sozialarbeiter den jungen Insassen. Der antwortet: Er dürfe nicht mit einem Christen befreundet sein.
“Warum?”, fragt wieder der Sozialarbeiter. Das stehe so im Koran, antwortet der junge Mann.
Der Sozialarbeiter: “Warum glauben Sie, dass ich Christ bin?” Der junge Mann: Weil die Mehrheitsgesellschaft christlich sei.
Die Szene, die der Pädagoge und Politologe Thomas Mücke in einem deutschen Gefängnis so erlebt hat, ist kein Einzelfall. Mehr als 12.000 Muslime sitzen in Deutschlands Gefängnissen, wie HuffPost-Recherchen kürzlich zeigten. Sie stellen fast 20 Prozent der Häftlinge – und ein riesiges Reservoir für die Radikalisierung durch Islamisten.
Denn das Risiko, dass moderate Muslime oder Nicht-Muslime im Knast radikal werden, angestachelt von den einsitzenden Hardlinern, halten Experten für hoch. Gefängnisse gelten als Hotspots für islamistische Radikalisierung.
“Der erste Ort der Radikalisierung ist das Gefängnis”
“Aus anderen Ländern wissen wir, dass Gefängnisse regelrechte Durchlauferhitzer für Islamisten sein können”, sagt Andreas Armborst, Leiter des Nationalen Zentrums Kriminalprävention (NZK) des Bundesinnenminsteriums.
So sagte etwa der französische Islamismus-Experte Oliver Roy ein einem Interview: “Der erste Ort der Radikalisierung ist das Gefängnis.”
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayman Mazyek, ist selten einig mit deutschen Sicherheitsbehörden, doch auch er sagt: “Dass in den Gefängnissen Radikalisierung stattfindet, ist Fakt.”
Doch was folgt daraus? Ist die Politik gut genug für diese Herausforderung gerüstet? Wie muss sie jetzt reagieren?
Die fatale Anziehungskraft der Extremisten
Susanne Schröter ist Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam der Goethe Universität. Gefängnisinsassen, sagt sie, seien aus ganz unterschiedlichen Gründen anfällig für Radikalisierung.
“Sie sind in einer frustrierenden Situation, ihnen ist langweilig, sie suchen Schuldige für ihre Situation und sind dankbar für Entlastungsideologien, die ihnen Radikale anbieten”, erklärt Schröter.
Prinzipiell kann jeder Gefangene ins Visier der islamistischen Missionare geraten. Aber es gibt Faktoren, die Muslime besonders anfällig dafür erscheinen lassen.
Professorin Schröter verweist auf die Erzählungen der Islamisten, dass der Westen Krieg gegen den Islam führe und Muslime in der hiesigen Gesellschaft keine Chance hätten.
“Salafismus”, sagt Schröter, “ist dann das Alternativangebot zur Integration. Wegen des einfachen Weltbildes und der klaren Regeln gilt Salafismus als attraktiv; dazu kommt das Versprechen von Abenteuern im Dschihadismus, nicht zu vergessen auch die himmlischen Jungfrauen, die angeblich auf einen so genannten Märtyrer warten.“
Gewimmel von Experten und Zuständigen
Tatsächlich wird schon heute viel getan, um die Radikalen auszubremsen. Die HuffPost hat von den Justizministerien der Länder teils seitenlange Antworten erhalten.
► In Hessens und Baden-Württembergs JVAs etwa gibt es sogenannte Strukturbeobachter, die nach Hinweisen auf verbotene Netzwerke und extremistische Umtriebe suchen.
Man darf sich das aber nicht zu einfach vorstellen: “Wenn Agitation in arabischer oder türkischer Sprache geschieht, wird ein normaler deutscher Vollzugsbeamter das nicht erfahren”, sagt Schröter.
► Es gibt Schulungen für JVA-Angestellte, Zusammenarbeit mit Kriminalämtern und Verfassungsschutz.
► Folgt man den Behörden, dann wimmelt es in Deutschland geradezu von Beiräten, Expertengruppen und Koordinierungsstellen zum Thema. Wie immer, wenn jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht.
Soziale Anerkennung statt Salafismus-Phantasien
► Ein wichtiger Baustein überall: Freie Träger, deren Pädagogen den Insassen beibringen, wie sie sich durch Ausbildung und Arbeit Anerkennung in der Gesellschaft verschaffen können. Damit die Gefangenen den Radikalen erst gar nicht auf den Leim gehen.
Der größte dieser freien Träger ist das Violence Prevention Network (VPN), das der Politologe und Pädagoge Thomas Mücke leitet.
In freiwilligen Workshops oder im verpflichtenden Schulunterricht an den JVAs sprechen er und seine Kollegen über Demokratie und Menschenrechte, über Identität. “Wir erklären, wie Extremisten die Menschen ansprechen, um sie später zu verheizen.”
Eine typische Masche der Ideologen: den Insassen einreden, dass nur die anderen schuld seien am Schlamassel: “Du bist hier, weil dich der Staat bestrafen wollte. Aber strafen kann nur Gott. Allein auf seine Gesetze musst du hören.”
Religiöses Schutzschild gegen die Einflüsterungen der Extremisten
Die meisten Bundesländer setzen außerdem auf religiösen Beistand für die Häftlinge. “JVA-Imame können eine gesunde Konkurrenz sein zu den selbsternannten Islamistischen Predigern”, sagt Armborst.
Vorreiter in der muslimischen Seelsorge ist Hessen. Der Theologe und Islamwissenschaftler Mustafa Cimsit betreut in Frankfurt 200 bis 300 Gefangene. Seines Wissens ist er der einzige muslimische Vollzeit-Gefängnisseelsorger in Deutschland.
Wie ein Imam die Insassen stärken will
“Es liegt in der Natur der Seelsorge, präventiv und deradikalisierend zu wirken”, sagt Cimsit.
► “Ich mache den Insassen klar, dass sie wertvoll sind, einfach deswegen, weil sie Menschen sind. Sie werden nicht erst wertvoll, wenn sie sich für etwas opfern, wie es Extremisten behaupten.”
► Cimsit appelliert an die Insassen, ihr Tun zu hinterfragen. “Der Koran ist eine Ermahnung für Denkende.” Die Islamisten dagegen wollen blinden Gehorsam.
Nicht belehren, sondern Zweifel säen
Praktiker wie Imam Cimsit und Pädagoge Mücke setzen darauf, die Insassen nicht von oben herab zu belehren. Weil das nur Ablehnung und Trotz fördert.
Als der junge Mann aus Abneigung gegen Christen nicht die Hand geben wollte, gelang es Mücke, ihn zu verunsichern. “Ich sagte, ich sei Atheist – das brachte ihn aus dem Konzept. Auch die Frage, warum Prophet Mohammed mit einer Jüdin verheiratet gewesen sei.”
So setzen die Praktiker Denkprozesse in Gang. Und mit Glück und Hartnäckigkeit macht es irgendwann klick.
″Überzeugte Dschihadisten für Gespräche nicht zugänglich”
Was aber soll man mit den Dschihadisten anstellen, den Charismatikern, die sich nun ihre Beute im Knast suchen?
″Überzeugte Salafisten sind für Gesprächsangebote nicht zugänglich. Deradikalisierung ist bei diesen Menschen meist nicht möglich”, sagt Professorin Schröter.
“Sie wissen nie, was in einem Menschen vorgeht”
Imam Cimsit und Pädagoge Mücke haben andere Erfahrungen gemacht. Sie können sich, wenn überhaupt, nur an wenige Einzelfälle erinnern, in denen Radikale nicht mit ihnen reden wollten.
Dennoch bleibt Cimsit skeptisch, was er bei solchen Menschen erreichen kann. “Sie wissen niemals wirklich, was in einem Menschen vorgeht.”
Muslimvertreter Mazyek glaubt, Extremisten seien, wenn überhaupt, nur durch religiöses Wissen zu überzeugen, “dass sie auf dem Holzweg sind”.
Mücke ist da etwas optimistischer. Eine Evaluation vor einigen Jahren habe ergeben, dass ideologisierte Gewalttäter um 68 Prozent seltener rückfällig wurden, wenn man entsprechend mit ihnen arbeitete.
Aber an schnelle Erfolge glaubt auch Mücke nicht. “Ich warne vor Rückkehrern aus den IS-Kampfgebieten, die sich geläutert geben. Diese Indoktrination legt man nicht von einem Tag auf den anderen ab.”
Dschihadisten isolieren?
Uneinig sind sich die Experten, wie man die unbelehrbaren Hardliner im Knast unterbringen soll.
► Soll man sie möglichst nur mit Nicht-Muslimen unterbringen, wie es Österreichs Gefängnis-Imam Ramazan Demir vorschlägt?
Armborst fürchtet, Menschen ohne Wissen über den Islam könnten noch anfälliger sein für die Einflüsterungen der Radikalen. “Daher halte ich diese Konstellation sogar für noch kritischer.”
► Soll man sie von den anderen isolieren? Schröter sagt: “Eine Trennung von den anderen Insassen wäre meines Erachtens das Allerbeste.”
Mücke warnt: “Frankreich hat Extremisten abgesondert. Das führte dazu, dass sie noch radikaler wurden. Dieser Versuch ist total gescheitert.”
Viel Wille, wenig Wissen
Es zeigt sich: Es gibt viele Initiativen im Kampf gegen die Islamisten. Und wenig Wissen, was wirklich etwas bringt.
Professorin Schröter sagt: “Die deutsche Justiz ist nicht gut dafür gerüstet, da es sich um ein relativ neues Problem handelt.” Und: “Wir steuern auf ein gewaltiges Problem zu.” Auch wegen der großen Zahl an Muslimen in deutschen Gefängnissen.
Mazyek vom Islamrat fordert deshalb einen flächendeckenden Ausbau der muslimischen Seelsorge. In manchen Bundesländern wie dem Rheinland gibt es noch gar keine Strukturen.
Doch der Politik fehle dazu bisweilen der Mut. Der Mut, auf die Zusammenarbeit mit Verbänden zu setzen. Der Mut, mehr in die muslimische Seelsorge zu investieren, auch wenn die Rechten das instrumentalisieren könnten nach dem Motto: Seht euch an, was da alles schief läuft.
“Aber wenn wir uns vor solchen Diskursen fürchten, werden wir nichts verändern und die Probleme werden sich erst recht verschärfen. Es ist ein Teufelskreis!”
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