Abschied vom Auto: Berlin plant die Fahrradrevolution



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Abschied vom Auto: Berlin plant die Fahrradrevolution
Für Bluthochdruck sorgt auch, wenn einige Kieze schon fleißig Fahrradstraßen einzeichnen.

  • Berlin ist kurz davor, das erste Fahrradgesetz Deutschlands auf den Weg zu bringen. Es dient jetzt schon vielen Städten als Vorbild
  • Ändert sich jetzt die Auto- zu einer Fahrrad-Republik?

Peter Neubert ist einer der wenigen Radfahrer, die man im Winter in Berlin trifft.

Er trägt Gorotex, durch die Straßen fegt ein Schneesturm, die Fahrradwege sind mit Matsch überzogen, doch der Lehrer traut sich trotzdem mit seinem Zweirad raus.

“Das Rad ist schneller und gesünder”, sagt er. “Und deswegen fahre ich, egal welches Wetter herrscht.”

Neubert ist einer von hunderttausenden Radfahrern in der Hauptstadt. 80 Prozent der Haushalte besitzen mindestens ein Fahrrad, für die derzeit so viel getan wird, wie fast nirgends sonst in Europa.

Mehr zum Thema: Studie: Wer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, hat ein nur halb so hohes Risiko, an Krebs zu erkranken

Deutsche Städte könnten sich radikal verändern

Denn auch, wenn die langen Schlangen in Ämtern nerven, die Polizei erschreckend schlecht ausgerüstet ist und über den Flughafenbau die ganze Welt lacht: Eines macht Berlin gerade besser als viele andere Städte in Deutschland.

Sie steht kurz davor, das erste Fahrradgesetz der Republik im Abgeordnetenhaus zu verabschieden.

Seit sich die Stadt im April 2017 dazu entschieden hat, das Papier auf den Weg zu bringen, dient es auch als Vorbild für andere Metropolen. Von Bamberg über Hamburg bis München initiieren Parteien und Bürgerbewegungen derzeit auch sogenannte Radentscheide, die nach Berliner Vorbild ein Gesetz anstreben.

Am Ende dieser Entwicklung könnten sich die deutschen Städte radikal verändert haben: Das Rad könnte das Auto als Verkehrsmittel Nr. 1 ablösen. Die Folge: bessere Luft und weniger Lärm. Also eine lebenswertere Stadt.

“Wir haben den Kampf um die Vorherrschaft auf den Straßen aufgenommen”

“Ich wünsche mir, dass Radfahrer durch Berlin kommen, ohne angehupt oder  an- oder umgefahren zu werden”, sagt Lara Eckstein. “Ich erlebe das auf meinem Weg zur Arbeit leider ständig.”

Von Neukölln fährt sie jeden Tag nach Berlin-Mitte und zurück, es geht über den Moritzplatz, durch enge, zugeparkte Wege und Hauptstraßen, durch die sich Autos und Kleinlaster drängen.

Etwa sechs Kilometer sind das, davon nur wenige hundert Meter Radweg, “auf dem ich mich sicher fühle”, sagt Eckstein.

Die 27-Jährige arbeitet für den Fahrradlobby-Verein ADFC und kann es kaum erwarten, bis das neue Gesetz endlich kommt. “Ich hoffe, dass sich spätestens in fünf Jahren alle Menschen in Berlin auf dem Rad sicher fühlen können.”

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Es wartet tatsächlich viel Arbeit auf die Stadt

Die ersten Projekte laufen schon. Der Entwurf, der bald als Gesetz verabschiedet werden soll, enthält folgende Forderungen:

► Fahrradschnellwege, die vier Meter breit sind. Sie sind als eine Art Autobahn für Radpendler gedacht. 100 Kilometer sind davon geplant, sie verbinden die Berliner Speckgürtel mit dem Zentrum. Eine Übersicht gibt es hier.

► Nebenstraßen sollen zu sogenannten Fahrradstraßen umgebaut werden, durch die keine Autos mehr fahren dürfen. Außerdem sollen Einbahnstraßen für Fahrradfahrer geöffnet werden. Das ist der wohl größte Bruch mit der Auto-Hegemonie.

► Langfristig will die Stadt dafür sorgen, dass kein Radfahrer mehr im Verkehr stirbt. Verbände beklagen schon seit langem die hohe Zahl der verkehrstoten Fahrradfahrer in Berlin. Dafür sollen geschützte Radstreifen entstehen, die 90 Zentimeter hohe Poller und ein grüner Belag vom Autoverkehr trennen – wie auf der Hasenheide, die den Südstern mit dem Hermannplatz verbindet.

► Bis zum Jahr 2025 will die Stadt 50.000 Fahrradstellplätze an Haltestellen von Bus und Bahn aufstellen, ähnlich viele sollen es an öffentlichen Plätzen wie Schulen, Museen und Behörden werden.

► Es sollen noch deutlich mehr Leihfahrräder auf die Straßen Berlin. Mehr als 10.000 gibt es derzeit.

► Außerdem heuert die Stadt dutzende Radverkehrsplaner an, die die Projekte betreuen sollen. Zwei soll jeder Bezirk einstellen, außerdem werden Stellen auf Landesebene geschaffen.

“Das Gesetz ist eine Mammutaufgabe für die Stadt”, sagt Denis Petri vom Volksentscheid Rad, deren Volksinitiative das Gesetz angestoßen hat. “Es wird das Straßenbild für immer verändern.”

Petri erwartet, dass das Gesetz bis Ostern verabschiedet und dann schrittweise umgesetzt wird. “Dauert es länger, werden wir den öffentlichen Druck erhöhen”, sagt er.

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Mit seinem Rad-Plan reiht sich Berlin in einen internationalen Trend ein

Das Fahrrad wird weltweit als Verkehrsmittel immer beliebter. Deswegen will Berlin für die Verkehrsrevolution auch viel Geld in die Hand nehmen. 50 Millionen Euro sollen es im ersten Schritt pro Jahr sein.

Andere Städte geben pro Kopf zwar deutlich mehr aus – etwa Kopenhagen und Amsterdam. Und das schon über Jahre hinweg. 

In Berlin aber regiert Michael Müller (SPD) – die Hauptstadt bekam das Gesetz nicht wegen, sondern trotz ihm.

Statt mit flammenden Reden für das Rad machte er kürzlich Schlagzeilen, weil Parkplätze für Radfahrer in der Straße weichen sollten, in denen zufällig auch der Bürgermeister wohnt.

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Das Gesetz zur richtigen Zeit

Dennoch hat Berlin nach Ansicht von Experten “die besten Voraussetzungen, die Fahrradhauptstadt Europas” zu werden, sagt Michael Hardinghaus vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum Berlin.

Denn: Die Stadt ist so gebaut, dass die meisten Wege kürzer als fünf Kilometer – und somit bestens für Radfahrer geeignet– sind. Außerdem gibt es einen guten öffentlichen Nahverkehr.

Das Gesetz komme deswegen genau zur richtigen Zeit – und “hat einige spannende Punkte, die Berlin von anderen Städten in Europa unterscheiden”, sagt Hardinghaus.

Die Fahrradstraßen seien bemerkenswert. “Interessant ist auch, mit welchem Erfolg sich die Zivilgesellschaft durch den Bürgerentscheid eingebracht hat”, sagt der Experte.

Der Radverkehr werde in Berlin deswegen schon bald den Platz bekommen, “den er benötigt”.

Dass einige Kieze schon Fahrradstraßen einzeichnen, sorgt für Bluthochdruck

Aber der Umbau zur Fahrradstadt passiert nicht ohne Widerstände. Auch nicht in Berlin.

Das ist kaum verwunderlich. Denn breitere Radwege bedeuten schmälere Straßen und weniger Parkplätze für das Auto. Als die Pläne der Stadt bekannt wurden, kommentierten Zeitungen deswegen: “Vergesst die Autofahrer nicht!”

Für Bluthochdruck sorgt auch, wenn einige Kieze schon fleißig Fahrradstraßen einzeichnen.

Und die Berliner “BZ” kommentierte Anfang des Jahres mit Blick die Posse um den Hauptstadtflughafen BER: “Der Senat denkt an Fahrräder, aber nicht an die Flugzeuge.”

Die Radwende ist richtig, weil auch wissenschaftliche Fakten dafür sprechen, die auch Kritiker nicht von der Hand weisen können:

Radfahren ist gesund. Dänische Mediziner haben herausgefunden: Menschen, die mit dem Rad täglich zur Arbeit pendeln, haben ein deutlich geringeres Risiko für Herzkrankheiten als jene, die sich nicht oder nur in ihrer Freizeit aktiv bewegen.

Außerdem reduziert Radfahren die Luftverschmutzung.

Und was haben die Deutschen nicht auch über Busspuren und Tempo-30-Zonen geschimpft. Heute allerdings will sie keiner einer mehr missen.

So wird es auch mit dem Fahrradgesetz sein.

(amr)

www.huffingtonpost.de/entry/abschied-vom-auto-berlin-plant-die-fahrradrevolution_de_5a69e5e3e4b002283009c55a


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