7 Erziehungsfehler, die zu “Tyrannen” und “Arschlochkindern” führen



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7 Erziehungsfehler, die zu “Tyrannen” und “Arschlochkindern” führen
Manche Kinder sind vorwiegend auf ihren Vorteil bedacht.

Es gibt nichts, was Eltern so sehr stresst, wie der Gedanke, ihre Erziehung könnte in irgendeiner Weise scheitern und ihre Kinder könnten egoistische Arschlöcher werden. Es gibt auch nichts, was Eltern so oft unheilvoll prophezeit wird, wie die Aussicht darauf, ihre Art der Erziehung würde egozentrische Tyrannen hervorbringen.

Es gibt in den Regalen der Buchhandlungen etliche Ratgeber, die genau in diese Kerbe hauen und meist eine Rückkehr zur guten alten Erziehung als Allheilmittel anpreisen. Die Autoren dieser Bücher verorten den Grund für die neue Generation der “Tyrannen” in einer zu bedürfnisorientierten Erziehung.

Betroffene Eltern erziehen ihre Kinder mit Lob und Tadel

Ich selbst arbeite als Sonderpädagogin und erlebe dort durchaus auch Kinder, die vorwiegend auf ihren eignen Vorteil bedacht sind und wenig Mitgefühl mit anderen haben. Man könnte sie “Arschlochkinder” nennen.

Ihre Eltern erziehen jedoch definitiv nicht bedürfnisorientiert, sondern klassisch mit Lob und Tadel. Diese Beobachtung ließ mich darüber nachdenken, welche Faktoren denn nun wirklich egoistisches, unempathisches und rücksichtsloses Verhalten begünstigen.

Mal abgesehen von Eltern, die ihre Kinder krass vernachlässigen, versuchen wir doch alle – egal, welche Erziehungsrichtung wir vertreten – unsere Kinder dazu zu befähigen, zwar einerseits individuelle Bedürfnisse selbstbewusst zu vertreten, aber sich andererseits doch so zurücknehmen zu können, dass sie sich in eine Gruppe oder Gesellschaft einfügen können.

Und bei den allermeisten Kindern gelingt dieser Spagat ja auch.

Wenn also bedürfnisorientierte und klassische Erziehung gleichermaßen vorwiegend gesellschaftstaugliche, freundliche Kinder hervorbringen, was muss passieren – oder nicht passieren – damit der viel beschrieene Tyrann tatsächlich heranwächst?

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Es geht um den eigenen Willen.

Das Gehirn gibt uns die Reaktionen vor

Die Antwort findet sich unter anderem im Gehirn des Menschen – speziell in einem Bereich, der präfrontaler Cortex genannt wird. Das sind neuronale Netzwerke, die im Stirnhirn über den Augenhöhlen liegen und die einen Großteil dessen ausmachen, was wir als zivilisiertes und gesellschaftlich akzeptables Verhalten empfinden.

Der präfrontale Cortex ist quasi eine vernünftige Kontrollschleife, in der all unsere spontanen Impulse evaluiert werden. Werden wir beispielsweise geärgert und wir haben den Impuls, den Angreifer zu hauen, dann durchläuft dieser aggressive Wunsch die Kontrollschleife.

In Sekundenschnelle wird abgewägt, was unser Zurückhauen für Folgen haben würde.

Würde unser Gegenüber noch aggressiver reagieren und wir kämen in noch stärkere Gefahr? Steht unser potentielles Zuhauen in einem angemessenen Verhältnis zum auslösenden Ärgern?

Würde es unserem Gegenüber großen Schaden zufügen?

Je nachdem, wie dieser Abwägeprozess ausfällt, wird der Hauimpuls vom Gehirn mäßigend verändert. Wir schlagen doll zu, weniger doll, leicht oder gar nicht [vgl. Bauer, J., 2013].

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Kleinkinder müssen die verschiedenen Reflexe erst lernen

Die neuronalen Netzwerke des präfrontalen Cortex arbeiten jedoch noch nicht von Geburt an. Sie beginnen erst im dritten Lebensjahr langsam zu reifen, was erklärt, warum Kleinkinder noch sofort und ungehemmt zuhauen oder beißen, wenn ihnen etwas nicht passt.

Ihre Kontrollschleife arbeitet noch nicht. Erst ab dem dritten Lebensjahr fängt das Gehirn langsam an, die für den Abwägeprozess notwendigen Informationen zu speichern. Es muss zum Beispiel abgelegt werden, wie ein Mensch aussieht, der wütend ist.

Kann ein Kind die wütende Mimik und Gestik seines Gegenübers nicht entschlüsseln, würde es keine Notwendigkeit erkennen, mit seinem Verhalten aufzuhören. Auch natürliche Folgen von Verhalten müssen zunächst erlebt und abgespeichert werden: Haut ein Kind ein anderes, wird es wahrscheinlich sofort zurückgehauen.

Auch eine Katze wird vermutlich, wenn sie am Schwanz gezogen wird, dem Kind mit seinen Krallen ihren Unmut zeigen. Ein Erwachsener, der vom Kind gehauen wird, dreht sich vielleicht um und geht weg oder er schimpft laut.

► All diese Reaktionen würde das Gehirn des Kindes im Laufe der Zeit abspeichern.

 

Das Gehirn ist ein menschliches “Supertool”

Der präfrontale Cortex ist aber nicht nur dafür verantwortlich, ob wir jemanden hauen oder nicht. Mit seiner Hilfe können wir uns auch Ziele für die Zukunft setzen.

Handlungen im Kopf planen, bevor wir sie ausführen, uns konzentrieren, unsere Aufmerksamkeit willentlich steuern und dabei Störendes unterdrücken.

Uns beim Kuchenessen oder anderen Dingen zurücknehmen, damit wir nicht zu dick werden, uns aufraffen, wenn wir eigentlich k.o. sind und abhängen wollen und auch Rückschläge im Leben aushalten, ohne daran zu verzweifeln.

Kurz gesagt, unser Gehirn und besonders der präfrontale Cortex sind unser menschliches “Supertool”, ohne das wir ziemlich aufgeschmissen wären.

► Und hier an dieser Stelle ist der Punkt, an dem es möglicherweise schief laufen kann. An dem sich vielleicht entscheidet, ob ein Kind empathisch und sozial wird oder unempathisch und egoistisch.

Ob es seine Zukunft im Blick behält und auf seine Ziele beharrlich hinarbeitet oder darauf wartet, dass Mutti das schon macht. Dass diese Aufzählung nur sehr grundlegend ist und es selbstverständlich noch sehr viel mehr Gründe für anti-soziales Verhalten bei Kindern und Erwachsenen gibt, muss ich sicher nicht betonen. Ich gehe davon aus, dass euch das bewusst ist.

Das sind die Erziehungsfehler, die – möglicherweise – zu “Arschlochkindern” und “Tyrannen” führen:

1. Die Menschen um sie herum zeigen keine echten Gefühle

Wie ich oben schon andeutete, muss sich im Gehirn eines Kindes zunächst einmal abspeichern, welche Gefühle es überhaupt gibt.

► Welche Mimik und Gestik Menschen normalerweise zeigen, wenn sie diese Gefühle haben und auch, wie man als gegenüber adäquat auf diese Gefühle reagiert.

Ich arbeite mit verhaltensauffälligen Kindern – meine Schüler können oftmals nicht den emotionalen Zustand ihres Gegenübers bestimmen. 

Das heißt, sie merken nicht, wenn das, was sie tun, den anderen ärgert.

 Sie sind nicht in der Lage, das in seinem Gesicht oder an seiner Haltung abzulesen. Weil sie diese Signale nicht erkennen, machen sie oft solange weiter, bis der andere explodiert – erst das kommt bei ihnen an.

Das Explodieren erkennen sie als Signal, aber oft überrascht es sie, wenn es passiert. Wir müssen ihnen also in der Schule Schritt für Schritt antrainieren, die Mimik und Gestik von anderen Menschen zu entschlüsseln.

Zum Beispiel, dass zusammengezogene Augenbrauen meist Wut bedeuten, Tränen möglicherweise Trauer.

Normalerweise übernehmen diese Aufgabe die Eltern oder ErzieherInnen, wenn die Kinder noch sehr klein sind. Sie bringen ihnen bei, sich in ein anderes Kind einzufühlen, es zu verstehen und vielleicht mit seinen Augen zu sehen.

Kinder müssen lernen, mit Gefühlen umzugehen

An dieser Stelle kommt auch noch eine weitere wichtige Aufgabe der Erwachsenen hinzu: Die Kinder müssen erleben, wie man richtig auf traurige oder wütende Mitmenschen reagiert.

► Dass man jemanden, der traurig ist oder der sich weh getan hat, in den Arm nimmt, tröstet und ausweinen lässt.

Oder dass man einem wütendem Menschen einfach nur aufmerksam zuhört, ohne ungewollte Lösungsvorschläge zu machen. Ein Kind lernt, andere mitfühlend zu behandeln, wenn ihm selbst mitfühlend begegnet wurde in schmerzhaften, traurigen oder wütenden Situationen.

Die Eltern lernen ihren Kindern eine falsche Reaktion auf Gefühle

Die Eltern meiner Schüler haben das alles aber selbst als Kinder kaum erlebt, deshalb können sie dieses Wissen nicht an ihre Kinder weitergeben. Sie reagieren – ungewollt – lieblos, wenn ihre Kinder hinfallen und weinen und sagen dann: “Steh auf, und hör auf zu weinen. Es ist doch nichts passiert.”

► So eine Reaktion ist aber problematisch. Wenn eine alte Frau auf dem Gehweg stolpert und stürzt, gehen wir ja auch nicht an ihr vorbei und sagen: “Steh auf, so schlimm war es nicht.” Wir rennen zu ihr, helfen ihr auf und fragen, ob wir einen Krankenwagen rufen sollen.

Wir stützen sie und suchen einen Platz zum Sitzen. Wir bleiben so lange bei ihr, bis sie sagt, dass es ihr gut geht. Das alles sind normale Reaktionsweisen – wenn einem das als Kind vorgelebt wurde.

Das Verhalten der Eltern ist kontraproduktiv

Deshalb ist es so wichtig, als Erwachsene wirklich authentisch zu reagieren, wenn in uns Gefühle aufwallen. Es ist eher kontraproduktiv, wenn wir Großen, obwohl wir wütend sind, mit freundlicher Stimme “Das war nicht schön, Konstantin-Noah!” säuseln und vielleicht dabei noch ein gütliches Gesicht machen.

► Es ist kontraproduktiv, weil so das Gehirn des Kindes nicht korrekt abspeichern kann, welche Gefühle beim Gegenüber ausgelöst werden, wenn das Kind haut, freche Sachen sagt oder auch schöne Dinge tut.

Um Empathie zu entwickeln, und empathisch agieren zu können, ist eine korrekte Abspeicherung von Aktion-und-Reaktion aber dringend nötig.

Es ist wichtig, weil die Einschätzung von Gefahr sonst nicht richtig funktioniert. Im Gehirn wird ja in der Kontrollschleife in Sekundenschnelle abgewägt, ob ein Zurückhauen sinnvoll ist oder einem selbst oder dem anderen zu viel Schaden zufügen würde.

► Um die Gefahr einschätzen zu können, braucht das Gehirn verlässliche Vorinformationen. (Was nicht heißt, dass Erwachsene zurückhauen sollen, damit das Kind “es lernt”!)

Insgesamt gilt: Alle Gefühle, die ihr habt, solltet ihr mit reichem Repertoire mimisch und gestisch darstellen, um die Empathie-Entwicklung und die Arbeit des präfrontalen Cortex eurer Kinder zu unterstützen.

Unkontrollierte Wutausbrüche sind nicht authentisch

An dieser Stelle möchte ich allerdings warnend einwerfen, dass elterliches totales “Ausflippen” nicht wirklich authentisch ist. Das Wort wird meines Erachtens zu oft von Erwachsenen missbraucht, die ihre unkontrollierten Wutausbrüche rechtfertigen mit “Ich bin doch nur authentisch…”

Nein. Einfach nein.

► Ein unkontrolliertes Schreien, Brüllen oder Explodieren mag von euren Kindern ausgelöst worden sein. Doch der wahre Grund für diese extremen Gefühle sind sie nicht, deshalb sollten sie sie auch nicht abbekommen.

Es gibt Experten, die meinen, solch ein unkontrolliertes Explodieren sei eine getriggerte, zeitlich und örtlich verschobene Reaktion, die eigentlich in der eigenen Kindheit hätte stattfinden sollen, dort aber nicht ausgelebt werden konnte [vgl. Maaz, H-J., 2014].

Ob das so ausschließlich stimmt, darüber lässt sich trefflich streiten, doch ist es eigentlich auch unwichtig.

► Wichtig ist, im Hinterkopf zu behalten, dass Kinder keine Schuld an den Gefühlen der Eltern tragen. Unsere Gefühle liegen in unserer eigenen Verantwortung. Diese Verantwortung abzugeben und einem Kind zu übertragen, ist nicht sehr erwachsen.

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2. Die Menschen um sie herum tun alles dafür, damit die Kinder keine Enttäuschung erleben müssen

Um im Leben bestehen zu können, müssen Kinder Resilienz entwickeln. Das heißt sie müssen lernen, kleinere Rückschläge auszuhalten und zu überwinden, um daraus hinterher gestärkt herauszugehen.

Die neuronalen Voraussetzungen für Resilienz sind im menschlichen Gehirn angelegt, aber auch sie müssen trainiert werden. Grundlage für die Resilienzentwicklung sind Selbstwirksamkeit und soziale Resonanz.

► Erlebt ein Kind von klein auf, dass es Dinge selbst bewirken und schaffen kann, wächst es über sich selbst hinaus und entwickelt echtes Selbstbewusstsein.

Bekommt es von den Bindungspersonen um es herum zurückgemeldet, dass auch diese daran glauben, dass es Dinge schaffen kann, potenziert sich die Wirkung.  

Dabei ist die innere Haltung der Erwachsenen sehr viel wichtiger als ihre Worte.

Es ist für das kindliche Gehirn viel eindrücklicher, wenn Eltern ängstlich das kletternde Kind festhalten, als ihre gesprochenen Worte: “Du schaffst das”.

► Im kindlichen Gehirn zurückbleiben würde dabei eher das mulmige Gefühl, das Klettern nur mit Hilfe meistern zu können. Es ist also wichtig, Kinder von Anfang an auch scheitern zu lassen.

Selbst Babys, die vor sich hin jammern, weil sie noch nicht vorwärts robben und an das Spielzeug kommen können, brauchen keine Hilfe, solange sie nicht wirklich weinen. Dieser Frust, den sie da verspüren, ist Antriebsfeder der inneren Motivation, über sich selbst hinauszuwachsen und Neues zu lernen.

Nehmen wir Großen ihnen das aus Übervorsorge ab, stutzen wir ihnen die Flügel, statt sie zu befähigen, das Hindernis zu überwinden.

Auch kleinere emotionale Rückschläge müssen Kinder aushalten lernen dürfen. Das ist für uns Eltern oft schwer zu ertragen. Zerbricht eine Banane beim Schälen und das Kleinkind flippt total aus und möchte, dass wir diese wieder ganz machen.

Dann ist man als Elternteil durchaus versucht, einfach schnell eine neue Banane hervorzuzaubern. Anstatt eine halbe Stunde mit ansehen zu müssen, wie untröstlich das eigene Kind darüber ist.

Auch wenn ein Spielzeug kaputt oder verloren geht, hört man Eltern oft vermeintlich tröstend sagen, dass sie ein Neues kaufen werden.

Ich kann das gut verstehen – tatsächlich habe ich es lange selbst so gemacht. Ich konnte einfach nicht aushalten, meine Kinder so traurig zu sehen.

Eltern müssen es aushalten, ihre Kinder traurig zu sehen

Wenn ein Lieblingshaarreif beim Spiel zerbrach, habe ich schnell einen neuen gekauft. Wenn das eine Fräulein zur Übernachtung bei einer Freundin eingeladen wurde, habe ich dem anderen Fräulein als Trostpflaster erlaubt, einen Film am Nachmittag zu schauen.

Ich weiß nicht, wie viele zerbrochene Bananen, Kekse und Würstchen ich gegen ganze ersetzt habe im Laufe der Jahre! Mittlerweile weiß ich allerdings, dass das nicht der richtige Weg war.

► Ich hätte sie besser trösten sollen und sie in ihrem Schmerz begleiten, als die Enttäuschung schnell wegzuschummeln. Denn so habe ich immer wieder die Fähigkeit ihres Gehirns geschwächt, Frustrationen auszuhalten.

Geschenke helfen nicht vor Enttäuschungen

Nehmen wir als Beispiel einen Vater, der beruflich sehr eingespannt ist und deshalb nicht zu einem vorher versprochenen Angelwochenende mit seinem Sohn fahren kann. Er schenkt ihm deshalb vielleicht zum Trost eine neue, teure Angel. Doch das hilft dem Kind nicht wirklich.

► Die teure Angel ist bestimmt schön, aber mit dieser Handlung suggeriert der Vater dem Gehirn des Sohnes, dass man Enttäuschung und Schmerz nicht aushalten, sondern sich davon ablenken muss.

Setzt sich der Vater dagegen am Abend hin und erklärt dem Sohn die Sache und hält es aus, dass dieser weint und mit ihm wütend ist, bietet seine Schulter zum Ausweinen an, dann gibt er echten Trost, der das Gehirn des Kindes stärkt.

► In zukünftigen enttäuschenden Situationen wird das Kind nicht zusammenbrechen, sondern die Enttäuschung meistern können, weil das Gehirn das schon einmal mithilfe einer Bezugsperson ausgehalten hat. Es weiß, dass es das kann.

Je öfter es das schon geschafft hat, desto besser lernt ein Kind, mit Enttäuschungen umzugehen. Das gemeinsame Aushalten der Enttäuschung und des Schmerzes lässt im Gehirn ein Feuerwerk an Glückshormonen ausschütten.

Der Sohn fühlt sich nach dem Weinen ziemlich geschafft, aber trotzdem irgendwie gut und zufrieden. Das soziale Miteinander, die mitfühlende Resonanz des Vaters hat das ausgelöst. Eine neue Angel ist dann völlig unnötig.

3. Die Menschen um sie herum bieten Ersatzbefriedigungen statt echtem Trost an

Eine geschenkte Angel als Trost befriedigt das faule Basissystem des Gehirns. Dieses mag schnelle Bedürfnisbefriedigung und es ist, wenn man es regelmäßig damit füttert, irgendwann stärker als der präfrontale Cortex.

Das Gehirn lernt dann, dass es den Schmerz beiseite schieben sollte (nicht aushalten, wie im ersten Fall) und sich auf schnelle Bedürfnisbefriedigung stürzen sollte, weil diese im Gehirn auch eine Art Belohnungshormon ausschütten lässt – daraufhin fühlt sich der Mensch für eine kurze Weile gut [vgl. Bauer, J., 2015].

Lernt das Kind also von seinen Eltern, sich bei Schmerz mit “schönen Dingen” abzulenken, erlernt das Gehirn keine Resilienz, sondern sich auf Ersatz zu stürzen: Essen, Trinken, Kaufen, Videospiele. Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen dem ersten Trost und dem zweiten.

Bei echtem Trost fühlt sich der Mensch wahrhaftig gut und erleichtert. Unechter Trost ist eine Ersatzbefriedigung. Es ist okay, wenn Eltern darauf ab und zu zurückgreifen – ich tue das –, aber ihnen sollte bewusst sein, dass es eben nur ein Lückenfüller ist. Einer, der sich schnell abnutzt.

Ersatzbefriedigungen lässt Kinder schneller aufgeben

Ablenkung mit Ersatzbefriedigungen ist insofern ein Problem, als dass daraus lebensuntüchtige Menschen entstehen. Solche, die schon an kleinen Rückschlägen zerbrechen oder Dinge gar nicht erst angehen, aus Angst, zu versagen.

Die Wirtschaft beschwert sich jetzt schon eine Weile, dass die Lehrlinge, die zu ihnen kommen, es nicht gewohnt sind, sich irgendwie “durchzubeißen”. Und mal, entschuldigt bitte die Ausdrucksweise, den “Arsch zusammenzukneifen”, um eine Sache bis zum Ende zu führen.

Wie sollen sie das aber auch können, wenn ihr Gehirn dahingehend nie trainiert wurde? Wenn ihnen immer, wenn es schwierig oder traurig wurde, eine Ablenkung vom Schmerz oder eine Ersatzbefriedigung präsentiert wurde?

4. Die Menschen um sie herum trauen sich nicht, ihre eigenen Grenzen aufzuzeigen

Gerade wir Eltern, die es gern anders machen wollen, als unsere Eltern, merken manchmal nicht, dass wir unsere Kinder zu oft unsere eigenen Grenzen überschreiten lassen. Eine Leserin des Blogs schilderte mir einmal eine Situation mit ihrer Tochter, in der sie zu stark ihre eigenen Grenzen überschreiten ließ.

Die Mutter hatte einen gebrochenen Fuß und konnte trotz Gips sehr schlecht laufen. Ihre Tochter war 3,5 Jahre alt und konnte schlecht damit umgehen, ihre Mama so immobil zu erleben.

► Es machte ihr Angst. Aus dieser Angst heraus lies sie sich allerlei einfallen, um die Mutter zum Aufstehen zu bewegen. Sie brauchte plötzlich bei den einfachsten Dingen Hilfe.

Da der Mutter klar war, dass ihre Tochter so agierte, weil es sie ängstigte, dass sie die meiste Zeit schwach auf der Couch lag, hievte sie sich immer wieder hoch, um dem Kind zu helfen.

Mal holte sie ein Kleid aus dem Schrank, mal suchte sie die verschwundene Puppe des Kindes. Diese kurzen Zeiten, in denen die Mutter wieder ganz “die alte” war, schienen dem Kind gut zu tun, doch der Fuß der Mutter schmerzte hinterher so stark, dass sie eigentlich nur noch liegen wollte.

Irgendwann erbat sich das Mädchen Hilfe beim Toilettengang – etwas, das sie schon lange allein konnte. Die Mutter bat inständig darum, liegen bleiben zu können, weil ihr gebrochener Fuß so weh tat. Sie schlug sogar vor, die Tochter könne ihr altes Töpfchen vor das Sofa stellen, um die Gesellschaft der Mama dabei zu haben. Ein toller Kompromiss eigentlich.

Doch die Tochter bestand laut und vehement darauf, die Mutter auf der Toilette dabei zu haben. Sie würde sonst, drohte sie, in die Hose machen. Die Mutter gehorchte – und stand wieder auf, obwohl sie höllische Schmerzen hatte und den Fuß viel zu stark belastete.

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Eltern müssen ihren Kindern Grenzen aufzeigen

Nun bin ich ganz vorn dabei bei denen, die sagen, es ist wichtig, Ängste der Kinder ernst zu nehmen und (fast) alles dafür zu tun, diese aufzufangen. Und doch es ist wichtig, Stopp zu sagen, wenn wir uns nicht wohl fühlen oder wir über unsere Belastungsgrenze gehen!

Jesper Juul hat das in seinem Buch “Leitwölfe sein” ausführlich beschrieben. Wenn wir Eltern keine authentischen Grenzen aufzeigen, wie sollen unsere Kinder lernen, auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen?

► Die Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen, also die eigenen Wünsche und Impulse zurückzustellen und eine Verzögerung der Bedürfnisbefriedigung auszuhalten, wird durch den präfrontalen Cortex geregelt und steigt mit vermehrtem Training.

Neben den Eltern und anderen erwachsenen Bezugspersonen sind hier Kindergruppen wichtige Übungspartner. Denn Kinder zeigen anderen Kindern oft wunderbar klar und direkt die eigenen Grenzen auf.

Möchte ein Kind zum Beispiel gerade nicht umarmt und geküsst werden, stößt es normalerweise das umarmende Kind einfach weg. Natürlich ist das kein besonders gesellschaftlich akzeptierter Weg, seine Grenze klar zu machen, aber eine sehr direkter und eindrücklicher.

Eltern müssen auf ihre Ausdrucksweise aufpassen

 ► Erwachsene, die ihre Grenzen aufzeigen, müssen natürlich achtsamer vorgehen. Sie sollten dabei nicht die Integrität des Kindes verletzen.

Es ist ein Unterschied, ob man sagt: “Ich möchte jetzt nicht mit dir spielen. Ich bin ganz k.o. und möchte kurz in Ruhe meinen Kaffee zu Ende trinken. Danach komme ich zu dir. Bitte spiel bis dahin allein” oder “Boah, lass mich doch ein Mal in Ruhe meinen Kaffee austrinken, ey! Ich will jetzt nicht mit dir spielen. Ich bin total k.o., siehst du das nicht? Spiel jetzt mal allein, verdammt noch mal”.

In beiden Fällen hat das Elternteil zwar klar gemacht, dass er/sie müde ist und momentan nicht spielen will, doch die zweite Version ist verletzend.

Kinder reagieren auf dieser Art der gewaltvollen Kommunikation der Eltern oft mit provokativem Verhalten, während ein nicht-verletzendes Grenzen aufzeigen normalerweise kooperatives Verhalten nach sich zieht.

Die Mutter mit dem gebrochenen Fuß aus dem Beispiel oben hätte ihrer Tochter sagen können: “Es tut mir leid. Ich weiß, es macht dir Angst, mich hier so schwach liegen zu sehen. Ich kann dir heute nicht helfen. Mein Fuß braucht Ruhe und es ist mir wichtig, dass er schnell heilt. Ich kann dir bei einigen Dingen helfen, wenn du sie zu mir auf die Couch bringst, aber das ist heute wirklich das Äußerste, was ich schaffe”.

Möglicherweise wäre ihr Kind darüber wütend geworden. Möglicherweise hätte sie sogar wirklich in die Hose gemacht. Aber sie hätte gelernt, dass ihre Mutter Grenzen hat und sie sich nicht verbiegen wird, egal wie viel Erpressung das Kind anwendet.

 

5. Die Menschen um sie herum verhalten sich unberechenbar

 Als ich im Kindergraten war, hatte ich eine beste Freundin. Anja hieß sie und war genau einen Tag jünger als ich. Sie lebte im Nachbarhaus in der neunten Etage und ich liebte sie sehr.

Was mich jedoch belastete, war der Terror, der von ihren Eltern ausging. Man konnte nie wissen, wie sie reagieren würden.

Mal waren sie super nett und überhäuften uns mit Süßigkeiten und ließen uns stundenlang unbeaufsichtigt fernsehen. Oft jedoch, meist aus heiterem Himmel, wurden sie wütend und schmissen mich raus. Nie wusste ich, was wir falsch gemacht hatten. Ein falsches Wort, ein falscher Blick, ein unbedarftes Kichern an der falschen Stelle und schon suchte man besser das Weite.

Jeden Tag klingelte ich bei Anja, um sie nach unten in den Hof zum Spielen zu bitten. Wir hatten lange zuvor beschlossen, dass das einfacher war, als bei ihr zu Hause. Sie summte mir freudig die Tür auf, wir freuten uns beide darauf, gleich miteinander raus gehen zu können. Doch davor stand noch – jeden Tag aufs Neue – die größte aller Geduldsproben.

Es musste alles glatt gehen in den fünf Minuten zwischen meinem Klingeln und dem Moment, in dem der Fahrstuhl bei ihr oben ankam. Machte sie die Wohnungstür auf und strahlte, war das ein guter Tag. Wir durften gemeinsam nach unten fahren.

Weitaus öfter aber hatte sie in diesen fünf Minuten irgendetwas gesagt oder getan oder nicht gesagt oder nicht getan, das ihren Vater von jetzt auf gleich ausflippen ließ. Dann öffnete sie mir tränenüberströmt die Tür und schüttelte nur schluchzend den Kopf.

Mein Herz sank jedes Mal in die Hose und ich schlüpfte schnell wieder in den Fahrstuhl. Allein.

Unkontrollierte Reaktionen der Eltern belasten Kinder

Der Terror der Willkür machte es mir jeden Tag schwerer, den Klingelknopf zu drücken und doch tat ich es viele Male. Es gab ja auch gute Phasen. Und wie gesagt, wir waren ein Herz und eine Seele, wir zwei blonden, kichernden Fünfjährigen – ich wollte sie nicht allein in ihrer Hölle lassen.

Irgendwann zog ihre Familie weg, wir verloren uns aus den Augen. Ich kann mich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern, nicht mehr an ihre Stimme. Aber den Terror im Herzen, den spüre ich noch immer tief in mir, wenn ich an ihrem Haus vorbei gehe und hoch in den neunte Etage schaue.

Ich frage mich – wenn mich das schon so belastet hat damals, wie muss es Anja ergangen sein?

Klare Strukturen geben den Kindern Verhaltenssicherheit

In meinem Artikel über den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen schrieb ich, dass Menschen ein Grundbedürfnis nach Struktur und Ordnung in ihrem Leben haben. Können sie über einen längeren Zeitraum nicht voraussehen, wie ihr Tag ablaufen wird, geraten sie in Stress und erkranken.

► Das gleiche gilt für das Verhalten von Eltern: Es muss eine Struktur aufweisen, die für ein Kind entschlüsselbar ist, so dass es weiß, woran es ist. Kinder brauchen Erwachsene, die sich berechenbar verhalten, denn an dieser klaren Struktur orientieren sie sich. Sie gibt ihnen selbst Verhaltenssicherheit.

Anjas Eltern verhielten sich aber nicht berechenbar. Wie ich schon schrieb: Wir wussten nie, was ihren Vater oder ihre Mutter austicken ließ. Nicht einmal hinterher konnten wir erkennen, was wir nun wieder falsch gemacht hatten. Im Prinzip versuchten wir, in ihrer Gegenwart möglichst unsichtbar zu sein, unter ihrem Radar zu bleiben, doch oft genug schafften wir es nicht.

 

Eltern sind an dem Verhalten der Kinder schuld

Ich weiß nicht, ob aus Anja eine “Tyrannin” oder eine “Arschloch-Frau” geworden ist – sie ist aus meinem Leben verschwunden, als ich sieben Jahre alt wurde.

► Doch ich sehe die Schüler an meiner Schule, die von der Gesellschaft den Stempel “verhaltensauffällig” aufgedrückt bekommen haben und weiß, dass viele von ihnen ebenso unberechenbare Erwachsene in ihrem Leben haben.

Das macht es für den präfrontalen Cortex meiner Schüler unglaublich schwierig, valide Regeln für zwischenmenschliches Verhalten abzuspeichern. Wenn sie als Kleinkinder nach ihren Eltern hauten, dann konnte es sein, dass diese hart zurück hauten, es ignorierten oder aber sogar lachten, weil sie es cool fanden, wie stark ihr kleiner Racker schon ist. Welche dieser Reaktionsmuster sollte das Gehirn nun als “richtig” einstufen?

Wenn es wirklich so gar keine Anhaltspunkte dafür gibt, wie sich die eigenen Eltern im nächsten Augenblick verhalten werden, dann kann ein Kind nicht gesund aufwachsen – es wird die Regeln für ein “normales”, gesellschaftlich und gewünschtes Miteinander nicht verinnerlichen, sondern ebenso unberechenbar reagieren und damit in Kita und Schule anecken.

Es braucht dann andere, verlässliche Bindungspersonen wie LehrerInnen, ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und auch gleichaltrige Freunde, um den “normalen” Umgang mit Mitmenschen zu erlernen.

Verhaltet euch authentisch

Weil ich weiß, dass ihr euch meine Texte immer sehr zu Herzen nehmt, hier noch ein Hinweis: Ich meine euch ausdrücklich nicht, liebe LeserInnen. Ganz sicher gibt es bei euch auch Situationen, in denen ihr nach Tagesform mal so und mal so reagiert. Das ist normal.

Das ist bei mir auch so. Das ist nicht die Unberechenbarkeit, die ich meine. Denn es ist für eure Kinder zu 95 Prozent klar, warum ihr reagiert, wie ihr reagiert.

Wenn ihr noch müde seid, reagiert ihr knurriger, als in wachem Zustand. Hattet ihr auf der Arbeit Stress, kann es sein, dass ihr am Abend nicht mehr zu Scherzen aufgelegt seid.

► Das fällt unter Authentizität – eure Kinder lernen euch dadurch kennen. Ganz sicher begründet ihr euren Kinder auch immer wieder, warum ihr jetzt so reagiert. Bestimmt sagt ihr sowas wie: “Uff, ich bin ganz geschafft vom Tag und kann euer Herumgealbere jetzt ganz schlecht aushalten. Ich ziehe mich jetzt mal ein bisschen zurück, ja?”

Wen ich meine, sind wirklich krankhaft unberechenbare Eltern – und die lesen hier nicht im Blog, weil ihnen nicht im Traum einfallen würde, dass das, was sie tun, ihren Kindern schaden könnte. Also bitte, bezieht Abschnitt 5 nicht auf euch, ok?

 

6. Die Menschen um sie herum übergehen das Nein der Kinder einfach

In den Medien konnte man in letzter Zeit vermehrt von Übergriffen sexueller Art lesen, bei denen das “Nein!” einer Frau von einem oder auch mehrere Männern nicht als “Nein” akzeptiert wurde.

In Stanford verging sich der Student Brock Turner an der Schwester einer Kommilitonin. Sie hatte auf einer Party zu viel getrunken und war bewusstlos. Das TV-Sternchen Gina-Lisa Lohfink wurde von zwei Männern vergewaltigt und dabei gefilmt – ganz klar ist von ihr immer wieder “Hör auf!” zu hören, auch.

Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, wie diese Vergewaltigungen rechtlich belangt wurden – dazu wurde schon viel geschrieben. Ich möchte eher beleuchten, wie es sein kann, dass ein Junge wie Brock Turner auf die Idee kommen kann, es wäre irgendwie okay, sich an einem anderen Menschen zu vergehen.

Kinder lernen, was ihnen vorgelebt wird

Haben ihm seine Eltern nicht beigebracht, dass Nein Nein heißt? Ich kenne die Familie nicht persönlich, aber Brock erscheint mir so normal, wie ein Junge von Nebenan.

Ich gehe davon aus, dass seine Eltern ihn “gut erzogen” haben und alles in ihrer Macht stehende getan haben, um ihm Respekt vor Frauen beizubringen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass weder sein Vater, noch seine Mutter jemals zu ihm gesagt haben, es sei ok, sich über das Nein einer Frau hinwegzusetzen und sie zu vergewaltigen.

Wie konnte es also dazu kommen? Was muss in der Erziehung schief laufen, damit aus einem Jungen von Nebenan ein Sexualstraftäter wird?

Die Antwort darauf ist so einfach, wie schockierend. Unsere Kinder lernen vornehmlich das, was ihnen vorgelebt wird und weniger das, was ihnen gesagt wird. Wenn ihr euch umschaut, dann werdet ihr vielleicht dort drüben auf der Bank eine Mutter sehen, die ihr Baby mit Brei füttern möchte.

► Das Baby dreht seinen Kopf weg und lässt seinen Mund zu. Es sagt eindeutig nonverbal Nein. Trotzdem schummelt die Mutter Löffelchen für Löffelchen in seinen Mund – wenn es gähnt, wenn es lacht, oder wenn es abgelenkt den Autos hinterher schaut – weil sie meint, das Baby müsse noch mehr essen.

Ein Nein von Kindern heißt Nein

Wenn ihr in die andere Richtung schaut, dann seht ihr vielleicht den Vater mit seinem Zweijährigen, der sich laut brüllend auf den Gehweg geworfen hat und lautstark “Nein!” zum Weitergehen sagt. Der Vater nimmt den strampelnden Knirps hoch und klemmt ihn sich vorsichtig unter den Arm – er geht weiter, als würde er den Protest seines Sohnes nicht hören.

Auf der Straßenseite gegenüber seht ihr vielleicht die kleine Einjährige im Buggy, die sich immer wieder den Sonnenhut vom Kopf reißt und ihre Oma, die irgendwann genervt eine doppelte Schleife ins Hutbändchen macht, damit ihre Enkelin ihr “Nein” nicht mehr durchsetzen kann…

Ich denke, 100 Prozent der Eltern stimmen zu, wenn man sie fragt, ob das “Nein” einer Frau beim Sex wirklich “Nein” heißen sollte. Wir alle wollen unsere Kinder in diesem Sinne erziehen, niemand von uns wünscht sich, dass sein Sohn einmal eine Frau gegen ihren Willen berührt. Aber wie viele Eltern bringen ihren Kindern unbewusst genau das Gegenteil bei? 

Denn was lernt denn ein Kind, das Nein sagt und trotzdem tun muss, was die Eltern sagen? 

Das Kind lernt, dass der Stärkere entscheidet, wann ein Nein wirklich Nein bedeutet.

Das “Ich meine es doch nur gut mit dir!” der Eltern ist nicht so weit entfernt vom “Du willst es doch auch!” des Vergewaltigers, wie wir das gerne hätten. Ich habe einmal, als meine Töchter noch klein waren, einer von ihnen gegen ihren Willen die Zähne geputzt.

Ich war wirklich der Überzeugung, es müsse sein, es wäre zu ihrem eigenen Besten. Doch sie wehrte sich, als ginge es um ihr Leben.

Sie schrie und strampelte, ich musste sie mit aller Kraft festhalten. Es fühlte sich an, als würde ich sie vergewaltigen! Als ich das merkte, ließ ich sie sofort los und schwor mir, sie nie, nie wieder so übergriffig zu behandeln. Dieser schreckliche Moment hallte noch lange in mir nach.

► Ich realisierte, dass sie nicht lernen kann, dass ihr “Nein” etwas wert ist, wenn nicht einmal ihre engste, liebste Person auf der Welt darauf hört. Wie sollen unsere Kinder das Selbstbewusstsein entwickeln, Fremden ihre Grenzen aufzuzeigen, wenn wir Eltern sie dazu zwingen, diese immer wieder überschreiten zu lassen?

► Wie sollen unsere Söhne lernen, nicht ihre Stärke auszunutzen und über ein Nein hinwegzugehen, wenn wir sie, wenn sie klein und schwach sind, zum Beispiel gegen ihren Willen hochheben und wegtragen?

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Es gibt aber auch Situationen, in denen Eltern über das Nein der Kinder hinweghören müssen

An dieser Stelle kommt meist das Gegenargument, dass es ja aber gar nicht geht, dass Eltern immer auf das Nein ihrer Kinder hören.

Oft wird das Beispiel der Mutter hervorgekramt, die mit ihrer nackten Einjährigen im Fahrradsitz bei elf Grad durch München fuhr und dem sie anhaltenden Polizisten erklärte, die Kleine habe das so gewollt.

Ja – das Verhalten dieser Mutter ist durch nichts zu entschuldigen. Es war fahrlässig. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen wir Eltern auch über die Neins unserer Kinder hinweggehen müssen.

Wirft sich der oben beschriebene Zweijährige nicht auf dem Gehweg hin, sondern mitten auf der Straße, ist es überhaupt keine Frage, dass der Vater ihn zur Sicherheit hochheben und wegtragen muss.

► Wir Eltern müssen und dürfen “beschützende Macht” über unsere Kinder ausüben. Notfalls auch mittels körperlicher Überlegenheit. Aber wie oft kommen solche Situationen vor?

Erwachsene müssen mit ihrer Macht und Kraft bewusst umgehen

Sehr viel öfter übergehen Eltern im Alltag die Grenzen ihrer Kinder aus Unbedachtheit, Zeitnot oder Faulheit. Und hierfür möchte ich euch einfach sensibilisieren: Dass Nein wirklich Nein bedeutet, lernen unsere Kinder sehr viel früher und sehr viel eindrücklicher, als das vielen Menschen bewusst ist.

► Wenn wir über ihr Nein immer wieder ohne besondere Not hinweggehen, kann es sein, dass sich diese Message in ihrem Kopf festbeißt.

Das bedeutet aber nicht, dass sie deshalb zwangsläufig zu potentiellen Vergewaltigern werden. Wäre die Erklärung so einfach, könnten wir schon längst die schlimmsten Verbrechen der Welt verhindern….

Aber es bedeutet, dass wir Erwachsene mit unserer Macht und unserer Kraft bewusst umgehen sollten. Dass wir auch im Alltag und unter Zeitnot gründlich überlegen sollten, ob es okay ist, dem Kind einen Pullover unter dessen Protest anzuziehen, oder ob es vielleicht möglich ist, den Pullover einfach mitzunehmen und dann anzuziehen, wenn das Kind von selbst gemerkt hat, dass ihm kalt ist.

Das wird nicht immer klappen, das weiß ich – oft genug muss ich selber über die Neins meiner Kinder hinweggehen, weil es gerade nicht anders geht. Und doch achte ich darauf, dass es für jedes Nein meiner Kinder, das ich nicht einhalten kann, viele Neins gibt, die ich akzeptiere und wahre.

7. Dem Kind passieren Dinge, die außerhalb der “Erziehung” der Eltern liegen

Ich hatte oben sechs Erziehungsfehler, die das Heranwachsen von “Arschlochkindern” oder “Tyrannen” vielleicht begünstigen, angekündigt –und nun steht hier ein siebenter Punkt. Er liegt jedoch außerhalb der Einflussnahme der Eltern, deshalb habe ich ihn nicht dazu gezählt.

Das Ding ist nämlich: Manchmal machen Eltern und Erzieherinnen objektiv gesehen alles richtig und trotzdem entwickeln sich ihre Kinder in eine Richtung, die für alle unangenehm ist.

► Es gibt leider eine ganze Reihe möglicher (extremer) Erlebnisse, die ein Kind dahingehend prägen können. Sei es das Erleben von Krieg oder anderer traumatischer Erfahrungen, die den Kindern den Zugang zu ihren Gefühlen unmöglich machen, weil sonst die Gefahr eine Retraumatisierung besteht – es gibt Dinge, die können Eltern nicht verhindern.

Manchmal wissen sie nicht einmal davon. Dann strampeln sie sich ab, um ihr Kind in eine gesellschaftlich bessere Richtung zu lenken und scheitern manchmal trotzdem.

Jedes Verhalten eines Kindes ergibt einen Sinn

Das bedeutet nicht, dass traumatisierte Kinder “Arschlochkinder” oder “Tyrannen” sind. Es gibt meines Erachtens überhaupt keine “Arschlochkinder”. Was wir von Außen sehen, ist ja immer nur ein winziger Teil ihres Verhaltensrepertoires.

Das, was wir in der halben Stunde auf dem Spielplatz von dem Kind erleben, repräsentiert ja nicht seinen gesamten Charakter, wie Alu in ihrem Text “Gestatten, ich bin die Mutter eines Arschlochkindes, sagst Du” ganz wunderbar beschreibt.

 

Jedes Verhalten von Kindern ist sinnvoll – ihr wisst, dass ich das immer wieder schreibe. Wenn es destruktives, anti-soziales oder aggressives Verhalten ist, dann hat das einen Grund. Einen, den man oft genug entschlüsseln kann.

Fazit

Die Lehre, die ihr aus diesem Artikel ziehen solltet, ist, dass ihr gute Eltern seid. Eure Kinder werden weder “Tyrannen” noch “Arschlöcher” – auch, wenn sie sich vielleicht dann und wann unmöglich benehmen.

► Egal, wie ihr erzieht – aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie zu freundlichen, zuvorkommenden Erwachsenen heranwachsen.

Selbst meine krassesten Schüler sind im Laufe der Zeit verträglicher geworden. Natürlich auch, weil wir ihnen in der Schule ein paar Grundbausteine mitgegeben haben.

Wenn sie mich besuchen kommen, sehe ich riesige, meist wunderschön tätowierte Hünen, die mir mit Leuchten in den Augen ihre kleinen Töchter in pinken Kleidchen präsentieren oder stolz erzählen, dass sie eine ehrliche Arbeit als Putzmann bei der deutschen Bahn bekommen haben.

Keiner meiner ehemaligen Schüler ist bisher im Gefängnis gelandet, obwohl ihr Start ins Leben alles andere als rosig aussah. Ich denke, dieser Fakt kann uns Eltern aufatmen lassen.

Klar, es gibt Fallstricke in der Erziehung (und außerhalb), die es Kindern schwerer machen, in der Gesellschaft nicht anzuecken.

Kinder müssen lernen, sich in andere hineinzuversetzen, sie brauchen Empathie, Liebe, Fürsorge, echten Trost. Sie müssen ab und zu auf die authentische Grenze eines anderen stoßen und dann dazu angehalten werden, diese einzuhalten. Und das ist eigentlich schon das ganze Geheimnis guter Erziehung.

Der Blog erschien ursprünglich auf Gewünschtestes Wunschkind.

Das Buch “Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen” von den Bloggerinnen Danielle Graf und Katja Seide könnt ihr im Handel erwerben. Zum Beispiel bei Amazon:

www.huffingtonpost.de/entry/7-erziehungsfehler-die-zu-tyrannen-und-arschlochkindern-fuhren_de_5a7acc80e4b0d0ef3c0aee44


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